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„Unsere Sammlungsstrategie sehen wir auch als politisches Statement“

Die Erste Bank präsentiert gesammelte Exponate in Wien und Bratislave

redaktionsbüro: Antje Mayer
Boris Marte:
- Seit wann sammelt die Erste Bank Kunst?
- Die Erste Bank und ihre zentral- und osteuropäischen Tochterbanken blicken auf eine sehr lange Tradition des Kunstsammelns und der Kunstförderung zurück. Unsere Sammlung entsprach nicht mehr den aktuellen Tendenzen der Kunstproduktion und damit auch nicht mehr den internationalen Kunstmarktkriterien. Deswegen haben wir sie vor zwei Jahren von Rainer Fuchs, dem stellvertretenden Direktor und wissenschaftlichen Leiter des MUMOK, evaluieren lassen. Auf Basis seiner gründlichen und durchaus kritischen Studie haben sich die Partnerbanken in Zentral- und Osteuropa entschieden, ihre Sammlungsaktivitäten – auf Basis einer gemeinsamen Strategie – zu konzentrieren. Wir haben sozusagen einen gänzlich neuen Anfang gewagt.
- Eine junge Sammlung demnach, mit der die Erste Bank verhältnismäßig früh an die Öffentlichkeit geht. Ein Wagnis?
- Was im MUMOK gezeigt wird – das ist uns wichtig, hervorzuheben –, sind die ersten Schritte unserer neuen Sammlungsaktivitäten. Einzelne Werke deuten eine Richtung an, durch das Erratische, das Besondere, das sie mitbringen. Die Ausstellung ist mehr eine Andeutung einer Zukunft als bereits die Realität einer Sammlung. Das MUMOK hat uns zu dieser Ausstellung eingeladen. Nach einer langen Diskussion mit dem Kunstbeirat haben wir sehr gerne angenommen. Großes Aber: Uns war wichtig, dass von Anfang an die Internationalität und das grenzüberschreitende Element unserer Sammlungspolitik zum Ausdruck kommt. Deswegen haben wir uns entschlossen, die Ausstellung an zwei Standorten zur gleichen Zeit stattfinden zu lassen, in den tranzit workshops in Bratislava und eben in Wien. Es ging uns dabei mehr als nur um Symbolik, sondern um das Aufspannen eines Kontakts zwischen zwei Städten, der noch viel zu wenig gelebt wird.
- Nach welchen Kriterien sammelt die Erste Bank Kunst?
- Als Bank konzentrieren wir uns geschäftlich auf die zentral- und osteuropäische Region. Sie ist in Bezug auf die kunsthistorische Aufarbeitung und auf einen funktionierenden Kunstmarkt ein immer noch unbeschriebenes Blatt. Aus diesem Bedürfnis heraus haben wir die neue Sammlungspolitik entwickelt. Das heißt, Kunstgeschichten teilweise neu zu formulieren und damit den westeuropäischen Kunstkanon zu hinterfragen. Dazu bieten wir eine professionelle Konservierung, Forschung und Präsentation von progressiver Kunst seit den sechziger Jahren bis heute an. Die Kunst, die wir sammeln, kommt aus einem geopolitischen Raum, in dem sie selten die Möglichkeit hat, in einem internationalen Kontext dargestellt zu werden. Außerdem soll die Sammlung, und das ist einmalig, eine Plattform des Dialogs werden, also vital Themen bearbeiten, die für die Identitätsbildung der Region wichtig sind.
- Keine pure Anhäufung von Werten?
- Wir wollen schon eine international erfolgreiche Kollektion aufbauen, die einen Wert darstellt. Das ist der Erfolg von Sammlungen, dass die einzelnen Kunstwerke schon allein durch ihr Vorhandensein darin wertmäßig profitieren. Aber unsere Sammlung kann man nicht entkontextualisieren.
- Beansprucht die Erste Bank mit ihrer Sammlungsstrategie nicht auch die Definitionsmacht, welche Kunst aus dieser Region gut und wertvoll ist?
- Das ist für mich eine Frage des Verfahrens, wie ein Kunstwerk Teil unserer Sammlung wird. Die sehr tief gehende und umfassende Diskussion des autonomen Kunstbeirats garantiert, dass keine Pseudo-Definitionsmacht entsteht. Es geht uns nicht um die Formulierung einer einzigen großen, sondern mehrerer kleiner Geschichten und Biografien, die diese Region und ihre Kunstwerke erzählen und hervorbringen. Uns ist wichtig, die Zusammenhänge, aber auch die Brüche zwischen den Ländern zum Ausdruck zu bringen. Dieser geopolitische Raum wird ja gemeinhin unter dem Begriff „Osten“ subsumiert, dabei vergessen viele, dass er eine große Vielfalt und Pluralität repräsentiert, die jedoch derzeit kaum wo abgebildet wird.
- Wenn nur die Erste Bank in den zentral- und osteuropäischen Ländern ernsthaft Kunst sammelt und kauft, bleibt doch der Kunstmarkt im Grunde so eindimensional wie zuvor?
- Wir sind Gott sei Dank nicht mehr die Einzigen, die in dieser Region Kunst fördern und kaufen. Der Kunstbeirat hat sich die Entscheidung über den Preis für die Kunstwerke nicht einfach gemacht. Er hat sozusagen einen Kunstmarkt antizipiert. Wir betrachten das als eine Anerkennung der Qualität der Kunstwerke und eine Geste der Fairness, dem Kunstmarkt entsprechende Preise zu zahlen. Bei uns gibt es keinen Ost-Discount!
- Wird die Sammlung nach Ende der Ausstellung wieder in den Büroräumen der Bankmitarbeiter hängen?
- Wir sind nicht die, die kaufen und horten. Es ist unser vorrangiges Interesse, dass diese Kunst mit der Region lebt, aus der sie kommt, dass sie diskutiert wird, dass sie weiterwirkt und dass sie in den lokalen Kontext eingebunden und zurückgespielt wird. Das soll eine Sammlung sein, die stark verwendet wird, von Kuratoren vor Ort etwa, die in ihren lokalen Bezügen arbeiten, um sie dann Teil der zeitgenössischen Produktion werden zu lassen. Wir fördern und unterstützen bewusst mit unseren Mitteln Projekte, die in lokalen Kontexten stattfinden. Unsere Sammlungspolitik steht nicht isoliert da, sondern ist Teil eines breiten kulturellen und sozialen Engagements der Erste Bank-Gruppe, zu der vor allem die grenzüberschreitende Kulturinitiative tranzit gehört, mit der wir die lokale Kunstproduktion infrastrukturell unterstützen, ergänzt durch unsere Sammlungspolitik und eben klassische Kunstförderung.
- Sie nehmen das Wort „Politik“ in Zusammenhang mit der Sammlung auffallend oft in den Mund. Warum?
- Insofern, als unser Sammlungsbudget nicht nur in den Ankauf fließt, sondern ein Teil der Mittel dafür verwendet wird, sie in Beziehung zur Region zu bringen, die dadurch wieder als kultureller Raum gespürt werden soll, dessen Wahrnehmung derzeit vor allem durch die Ökonomie bestimmt wird. Wir wollen bewusst einen Gegenpol dazu setzen. Unsere Sammlungsstrategie sehen wir schon auch als politisches Statement im Kampf gegen die Marginalisierung von Kunst und Kultur in den Transformationsgesellschaften und im Kampf gegen einen teilweise bereits aggressiven Nationalismus, der das Andere und das Vielfältige ausschließt.
Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Mai 2006
Link: REPORT online - Link: Tranzit - Link: MUMOK - Link: kontakt. Kunstsammlung Erste Bank -